Sexualität, Beziehung und die Kraft ehrlicher Kommunikation
In meiner sexualtherapeutischen Praxis begegne ich immer wieder Klientinnen (ja, hier nicht gegendert, weiblich), die sich in einer stillen, aber tief wirksamen Dynamik wiederfinden: Sie nehmen an sexuellen Begegnungen mit ihrem Partner teil, obwohl sie innerlich keine Lust verspüren. Sie stimmen zu – aus Rücksicht, aus Gewohnheit, aus Angst vor Konflikten.
In einem Beratungsgespräch habe ich dazu einmal folgenden Satz gesagt: „Wenn Sie mit ihm schlafen, obwohl Sie es eigentlich nicht möchten, handeln Sie gegen Ihre eigenen Bedürfnisse.“
Die Klientin, mit der ich sprach, wurde sehr still. Dann sagte sie: „So habe ich das noch nie betrachtet.“
Dieses Verhalten ist kein Einzelfall. Und es ist auch kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck tiefer, oft unbewusster Prägungen.
Wie Beziehungsmuster unsere sexuelle Selbstbestimmung prägen
1. Rollenbilder und Beziehungsdynamiken
Viele Frauen wachsen mit der impliziten Botschaft auf, dass ihre Aufgabe darin besteht, für das emotionale und körperliche Wohl anderer – insbesondere des Partners – zu sorgen. In dieser Logik wird Sexualität nicht als gegenseitiges Begehren, sondern als „Pflicht“ oder für den Beziehungserhalt notwendig erlebt.
2. Harmonie statt ehrlicher Kommunikation
„Wenn ich Nein sage, ist er enttäuscht“ „... dann weiß ich, dass er morgen wieder will. So lange, bis ich Ja sage“ „... wird meine Liebe in Frage gestellt“ – viele Klientinnen äußern solche Gedanken. Der Wunsch nach Harmonie hat nicht selten Anpassung und damit emotionale Selbstverleugnung zur Folge.
3. Schweigen über sexuelle Bedürfnisse
Nicht selten fehlen Worte, um über Lust, Grenzen und sexuelle Wünsche zu sprechen. Der eigene Körper sendet Signale – aber sie werden überhört oder nicht ernst genommen. Manche Frauen spüren überhaupt erst in der Beratung, dass sie jahrelang mehr funktioniert als gefühlt haben.
4. Frühere Erfahrungen in Beziehungen oder Sexualität
Frühere Grenzverletzungen oder emotionale Überforderung können dazu führen, dass Zustimmung nicht mehr mit innerer Freiheit verbunden ist. Das Muster „Ich funktioniere – auch wenn ich nicht fühle“ ist oft ein Schutz aus früheren Beziehungserfahrungen.
Wenn Kommunikation fehlt: Die Folgen für Körper, Seele und Beziehung
1. Sexuelle Unlust als Schutzreaktion
Wird Sexualität dauerhaft ohne innere Zustimmung gelebt, kann sich das Lustempfinden zurückziehen. Der Körper lernt: „Sex bedeutet, mich zu übergehen.“ Das kann zu Aversionen oder körperlicher Abwehr bis hin zu ernsthaften körperlichen Beschwerden führen.
2. Entfremdung vom eigenen Erleben
Viele Frauen berichten, dass sie beim Sex „nicht wirklich da“ seien – wie abgespalten von sich selbst. Der Zugang zu Nähe, Ekstase oder echtem Genuss wird blockiert. Oft bleibt ein Gefühl von Leere oder Irritation zurück.
3. Schuldgefühle statt Selbstempathie
„Ich müsste doch...“ – der innere Druck führt oft zu Selbstvorwürfen. Doch wer sich immer wieder übergeht, verliert das Vertrauen in sich selbst – und in echte Intimität.
4. Missverständnisse und Spannungen in der Partnerschaft
Auf Dauer leidet auch die Paarbeziehung. Der Partner spürt, dass etwas nicht stimmig ist – weiß aber oft nicht, was. Es entsteht ein Teufelskreis aus Rückzug, Frust, Missverständnissen oder gar Druck.
Der Weg zurück zu sich selbst – und in eine ehrliche Beziehung
Veränderung beginnt mit einem Schritt: sich selbst wieder zuzuhören.
Es geht nicht darum, Schuld zu suchen – sondern das eigene innere Erleben ernst zu nehmen. Kommunikation mit sich selbst ist der Anfang.
In der sexualtherapeutischen Begleitung entsteht ein geschützter Raum, in dem neue Worte gefunden werden dürfen – für Bedürfnisse, für Grenzen, für Lust.
Und auch in der Partnerschaft kann sich etwas verändern, wenn echte Kommunikation über Sexualität wieder möglich wird.
Und wenn Sie sich hier wiedererkennen?
Dann lade ich Sie ein, Ihrer inneren Stimme mehr Raum zu geben. Denn:
„Wenn Sie mit ihm schlafen, obwohl Sie es eigentlich nicht möchten, handeln Sie gegen Ihre eigenen Bedürfnisse.“
Und das muss so nicht bleiben.