Von der Geburtsstunde meiner Praxis und dem Unterschied zwischen Dominanz, Devotion, Sadismus und Masochismus
Meine sexualtherapeutische Arbeit begann nicht mit einem Zertifikat an der Wand, sondern mit einer Begegnung – und mit meiner eigenen Neugier. Ich hatte gerade begonnen, erste Erfahrungen im Bereich BDSM zu sammeln. Diese Welt zog mich an, weil sie etwas in mir zum Schwingen brachte, das ich vorher nicht benennen konnte: das Spiel mit Macht, mit Hingabe, mit Intensität.
In dieser Zeit begegnete ich einem Ehepaar, das ebenfalls erste Schritte wagte. Er hatte seine sadistische Seite entdeckt und begann, mit seiner Frau gemeinsam zu experimentieren. Anfangs war sie offen dafür – bis sie merkte: Das ist nicht meine Art von Lust. Sie wollte sich hingeben, ja – aber nicht über den Schmerz. Sie war nicht masochistisch, sondern devot.
Das brachte die beiden in eine schwierige Lage. Sie überlegten, ihre Beziehung zu öffnen, vernetzten sich, suchten gemeinsam nach Lösungen. Gleichzeitig suchten sie Unterstützung in einer Paartherapie – doch dort mussten sie erstmal erklären, was Sadismus bedeutet, und warum Dominanz etwas ganz anderes ist. Ich erinnere mich gut, wie sie mir später erzählte: „Ich war mehr damit beschäftigt, der Therapeutin BDSM zu erklären, als über unsere Beziehung zu sprechen.“
Irgendwann kam der Satz: „Du bist doch auch Beraterin UND kennst Dich mit dem Thema aus. Wenn du uns begleitet hättest, wäre das alles so viel einfacher gewesen!“
Damals konnte ich das noch nicht – mir fehlten sowohl die Ausbildung als Sexualberaterin als auch die professionelle Distanz. Aber innerlich war mir
klar: Das ist mein Weg. Und genau da will ich hin.
Vier Pole in BDSM – und warum es hilft, sie auseinanderzuhalten
Wenn Menschen sich für BDSM interessieren oder erste Erfahrungen sammeln, begegnen sie schnell vier Begriffen: dominant, devot, sadistisch, masochistisch.
Oft werden sie durcheinandergeworfen, dabei stehen sie für unterschiedliche Arten von Lust. Wer das versteht, kann sich selbst besser einordnen – und Konflikte in der Beziehung vermeiden, bevor sie entstehen.
Dominant & devot – es geht um Macht und Hingabe
In dieser Dynamik dreht sich alles um Kontrolle, Verantwortung und Vertrauen.
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Wer dominant ist, übernimmt gern die Führung: entscheidet, lenkt, fordert – im Spiel, im Setting, in klaren Absprachen.
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Wer devot ist, findet Lust in der Hingabe: im Folgen, Loslassen, Dienen oder sich-führen-lassen.
Das kann liebevoll, hart, verspielt oder streng sein – entscheidend ist das gegenseitige Einverständnis.
Sadistisch & masochistisch – es geht um Schmerz und Erregung
Hier steht der körperliche Reiz im Vordergrund – nicht die Hierarchie.
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Ein sadistischer Mensch hat Freude daran, Schmerzen zuzufügen – nicht aus Aggression, sondern aus einem erotischen Spiel heraus.
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Ein masochistischer Mensch empfindet Lust durch Schmerz – sei es durch Schläge, Klemmen, Nadeln oder andere intensive Reize.
Wichtig ist: Schmerz ist nicht gleich Gewalt. Wer masochistisch ist, sucht nach Tiefe, nach Rausch, nach Kontrollverlust – aber innerhalb eines sicheren, gehaltenen Rahmens.
Nicht alles passt zusammen – und das ist okay
Viele denken: „Devot = masochistisch“ oder „Dominant = sadistisch“. Und ja – oft trifft das zu. Aber es muss nicht so sein. Eine Person kann dominant sein und gleichzeitig gar kein Interesse an Schmerzen haben. Oder masochistisch sein und sich dabei keine Machtspiele wünschen. Es gibt Menschen, die kontrolliert führen wollen – ohne zu verletzen. Und andere, die sich Schmerzen wünschen – ohne sich unterzuordnen.
Missverständnisse entstehen oft genau dann, wenn zwei Menschen glauben, sie teilen dieselbe Neigung – dann aber spüren, dass ihre Wünsche eigentlich ganz unterschiedlich sind. So wie bei dem Ehepaar von damals. Sie war bereit, sich hinzugeben – aber nicht, um geschlagen zu werden. Und er suchte keine Kontrolle, sondern ein Gegenüber, das Schmerz genießt. Beides ist legitim. Es war nur nicht kompatibel – und genau das zu erkennen, kann sehr entlastend sein.
Was ich aus all dem gelernt habe
Ich habe in dieser Begegnung etwas Entscheidendes verstanden:
Sexualität ist nie „falsch“ – aber manchmal nicht gemeinsam lebbar.
Wenn wir aufhören, Begriffe zu vermischen, entsteht mehr Klarheit. Und mehr Freiheit. Wer ehrlich auf die eigene Lust schaut – auf das, was wirklich anmacht, was berührt, was trägt – hat die Chance, stimmige Begegnungen zu erleben.
Und genau das ist es, was mich bis heute in meiner Arbeit als Sexualtherapeutin antreibt.