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Poly oder Mono? Unterschiede und Gemeinsamkeiten

... und die nicht ganz überraschende Bedeutung von Kommunikation

Letzte Woche war ich auf einer Fortbildung zu Polyamorie und Psychoanalyse. Eine inspirierende Dozentin, Yvonne Czermak aus Wien, eine spannende Gruppe, Gespräche auf hohem Niveau – und für mich die Erkenntnis: Ich weiß schon sehr viel über das Thema. Vor allem, weil ich in meiner Beratungspraxis seit Jahren mit den Fragen, Konflikten und Chancen von Polyamorie, offenen Beziehungen und anderen Nicht-Monogamen Konzepten arbeite.

 

Besonders deutlich wurde mir: Viele der Themen, die im polyamoren Kontext diskutiert werden, betreffen ebenso monogame Paare. Die Herausforderungen sind also nicht grundsätzlich neu – sie zeigen sich nur anders.

Was Monogamie und Polyamorie gemeinsam haben

Ob monogam oder polyamor, Partnerschaften stellen uns vor ähnliche Fragen und Konflikte:

  • Ehrlichkeit & Lügen: Unehrlichkeit kann jede Beziehung erschüttern.
  • Missverständnisse & unausgesprochene Bedürfnisse: Regeln und Absprachen geben keine 100%ige Sicherheit.
  • Gefühle: Sie sind da, manchmal heftig, und brauchen Ausdruck und Bearbeitung.
  • Konkurrenz & Eifersucht: In Mono-Beziehungen oft subtiler (z. B. durch Arbeit, Freunde, Familie), in Poly-Beziehungen vielfältiger.
  • Ressourcenkonflikte: Zeit, Geld, Räume – immer ein Thema, bei Polyamorie oft komplexer, aber auch mit der Chance auf mehr geteilte Ressourcen.
  • Sicherheit & Kontrolle: Die vermeintliche Sicherheit der Monogamie kann trügerisch sein. Poly nimmt diese Illusion, was verunsichern kann – aber auch Wachstumschancen eröffnet.
  • Elternschaft: Ob mono oder poly – Kinder stellen Paare vor besondere Herausforderungen. Die Verantwortung ist in jedem Fall groß.
  • Neue Liebe (New Relationship Energy): In Mono-Beziehungen oft ein Ende der Beziehung, oder Verzicht der verliebten Person. In Poly-Beziehungen erlaubt – aber nicht ohne starke Gefühle und Konfliktpotenzial.

Drei Herausforderungen für Beziehungen im Fokus

Missverständnisse und Kommunikation

Missverständnisse entstehen in jeder Beziehung. Auch detaillierte Absprachen verhindern sie nicht. Der Unterschied: In polyamoren Beziehungen ist Kommunikation überlebensnotwendig – sie wird wahrscheinlich häufiger geübt. In monogamen Beziehungen wird sie mitunter eher verdrängt oder ausgesessen.

Sicherheit und Kontrolle

Monogamie vermittelt ein Gefühl von Sicherheit („für immer wir zwei“). Polyamorie bricht dieses Versprechen auf. Das kann verunsichern, alte Wunden sichtbar machen – und gleichzeitig die Chance eröffnen, diese zu heilen und persönlich zu wachsen.

Elternschaft und Verantwortung

Besonders komplex wird es, wenn Kinder im Spiel sind. Hier geht es nicht mehr nur um die Erwachsenen, sondern um Menschen, für die wir Verantwortung tragen. Die zentrale Frage lautet:

Soll und darf eine neue Liebesperson eine Rolle in der Familie spielen – und wenn ja, welche?

 

Das sind keine Entscheidungen, die leichtfertig getroffen werden können. Denn:

  • Kinder nehmen viel wahr – auch unausgesprochene Spannungen.
  • „Verplappern“ ist schnell passiert, und plötzlich wird ein Beziehungsmodell nach außen sichtbar, bevor alle dazu bereit sind.
  • Patchwork-Dynamiken zeigen sich auch hier: Wann ist der richtige Zeitpunkt, eine neue Person vorzustellen? Welche Rolle kann oder sollte sie einnehmen? Und gelingt es überhaupt, ein harmonisches Miteinander zu schaffen?

Während monogame Elternschaften diese Fragen in der Regel nicht stellen müssen, stehen polyamore Familien (oder auch Patchwork-Familien) genau vor dieser Herausforderung. Es sind sensible, aber notwendige Entscheidungen – und sie verdienen Zeit, Offenheit und eine klare Haltung.

Polyamor oder Monogam - kein "one fits all", sondern individuelle Beziehungsform

Viele Konflikte sind nicht polyamor- oder monogam-spezifisch, sondern menschlich. Neue Beziehungsmodelle sind kein Zaubertrick, der Probleme löst. Sie bringen Chancen – und eigene Herausforderungen. Entscheidend bleibt: Kommunikation, Ehrlichkeit und die Bereitschaft zur Reflexion.

 

Jedes Paar (und natürlich auch jedes Polykül 😉) – ob monogam, polyamor oder irgendwo dazwischen – darf den eigenen Weg finden. Meine Aufgabe als Beraterin ist es, diese Wege zu begleiten, Schnittmengen sichtbar zu machen und zu unterstützen, wenn’s schwierig wird.

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