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Darf ich das wollen? - Über Bedürfnisse, Rücksicht und Selbstklärung

Warum Entscheidungen so schwerfallen

... nicht nur in der Sexualberatung

„In Beziehung wirksam werden“ – so lautete der Titel von einem dreitägigen gruppendynamischen Training, das ich mit meinem tollen Kollegen Maurice Malten zusammen leiten durfte. Mal wieder raus aus der Sexualberatung, dachte ich, ich komme ja aus der systemischen Organisationsentwicklung. Und doch war ich überrascht, wie vertraut mir einiges vorkam, nicht aus früheren Moderationen, sondern aus der Sexualberatung. Und das kam so: 

 

Die Aufgabe: die Teilnehmenden sollten sich in Zweier-Teams zusammenfinden. Eine Übung, die meist schnell geht. Auch diesmal: Nach anderthalb Minuten standen die Paare. Nun waren noch knapp 90 Minuten übrig, und ich war gespannt, wie die Gruppe die Zeit nutzen würde. Damit hatte ich nicht gerechnet: 

  • "Wenn du nicht zufrieden bist, können wir ja nochmal tauschen?"
  • "Sollten wir nochmal gemeinsam abstimmen, ob das für alle okay ist?"
  • "Wäre es fairer, wenn wir es auslosen?"
  • "Ich hätte hier Stimmzettel, vielleicht stimmen wir verdeckt ab?"

Was war da los?

Was als einfache Paarbildung gedacht war, verwandelte sich in ein ausgedehntes Aushandlungsritual – nicht, weil jemand nicht zufrieden war, sondern weil es so schwer war, überhaupt dazu zu stehen, zufrieden zu sein.

 

Die meisten Teilnehmenden waren weiblich sozialisiert – und ich habe hier ein Muster wiedererkannt, das ich auch aus der Sexualberatung gut kenne:

  • Ich weiß gar nicht genau, was ich will.
  • Wenn du etwas anderes willst, ist das auch okay für mich.
  • Wenn jemand anderes unzufrieden ist, können wir das wieder ändern.

Die Angst vor dem eigenen Willen

Was hier sichtbar wurde, ist mehr als Gruppendynamik. Es ist die Schwierigkeit, den eigenen Wunsch zu spüren, zu benennen – und ihn dann stehen zu lassen, auch wenn andere vielleicht anders wollen.

 

Es geht um Bedürfniswahrnehmung, Ambivalenz und das tiefe Bedürfnis nach Harmonie und Absicherung. Und es zeigt sich nicht nur im Seminarraum – sondern auch im Schlafzimmer, in Beziehungen, in Teambesprechungen.

Sozialisation wirkt – auch zwischen den Zeilen

Wer weiblich sozialisiert wurde, hat oft gelernt: Nicht stören, nicht anecken, Rücksicht nehmen. Lieber mit dem Strom schwimmen als auf Konfrontation gehen. Bedürfnisse werden an Bedingungen geknüpft: nur wenn es für alle passt. Und Entscheidungen? Lieber vertagen, demokratisieren, absichern.

 

Das klingt erstmal nett – ist aber oft ein Hindernis für echte Begegnung. Denn wer immer auf alle achtet, setzt den eigenen Standpunkt aufs Spiel. Und ohne diesen wird echte Nähe, Intimität oder auch Klarheit in der Gruppe schwer.

Was hilft?

In meiner Arbeit – ob in Gruppen, mit Paaren oder Einzelpersonen – lade ich immer wieder zu folgendem Dreisatz ein: 

  • Was sind meine eigenen Bedürfnisse? 
  • Wie formuliere ich diese, gerne auch als Wünsche? 
  • Wie hole ich mir echtes Feedback, z. B. indem ich nach den Bedürfnissen meines Gegenübers frage? 

Es ist so wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und sie sich zuzugestehen. Nicht unbedingt, um sie durchzusetzen – sondern um meinen Verhandlungsspielraum zu kennen. Erst wenn ich weiß, was ich will, kann ich auch in Kontakt gehen. 

 

Manchmal beginnt das mit einem einfachen Satz:

 

"Ich will mit dir im Team sein."

Und dann: Aushalten, dass jemand vielleicht nicht will.

 

Das ist nicht egoistisch - das ist ein Anfang. Ein Anfang von echter Begegnung, bei der nicht nur Rücksicht, sondern auch Klarheit Raum bekommt.

 

Wie leicht oder schwer fällt es Ihnen, Ihren Wunsch auszusprechen – und stehen zu lassen? Ich freue mich über Gedanken, Erfahrungen oder Rückfragen – direkt per Mail oder in einem Termin, lassen Sie uns ins Gespräch kommen.